Naumburger Dom
Ulrike Unger
Die Fahrt nach Naumburg wird eine Winterreise. Licht färbt den Schnee ein, der wie eine Haut auf der Landschaft liegt. Hell und ungezähmt wirkt dieses Licht durch den tiefen Sonnenstand im frühen Jahr. Angekommen in der anhaltischen Kleinstadt, im ehemaligen Bistum, dem im Mittelalter wichtigen Handelsplatz an der Via Regia, erhebt sich vor den Augen die Kathedrale „St. Peter und Paul" im Zentrum der Altstadt. Eindrucksvoll und massiv, dabei gleichzeitig von atemberaubender architektonischer Symmetrie wächst der Bau in einen klaren Himmel. Vor allem anderen stechen die Türme des West- und Ostchors hervor. Im Inneren der Kathedrale ist man an diesem Samstag im Januar fast allein.
Am Bauwerk lassen sich epochal unterschiedliche Baustile nachweisen. Nach der Verlegung des Bischofssitzes von Zeitz nach Naumburg wurde der Dom im frühen 11. Jahrhundert zunächst frühromanisch begonnen, um 1210 erfolgte ein teilweiser Neubau. Mit der Errichtung des Westchores in der Mitte des 13. Jahrhunderts flossen frühgotische Elemente in das Aussehen der Bündelpfeiler-Basilika. Um 1330 kam es zur hochgotischen Erweiterung des Ostchores, der bis heute mit den sechs hohen wunderschön bemalten Glasfenstern aufwartet. Jedes Fenster erzählt eine andere Geschichte. Neben Erzählungen aus dem Leben der namengebenden Patrone Petrus und Paulus, denen dieser wichtigste liturgische Raum des Naumburger Doms gewidmet ist, gibt es unter anderem ein Jungfrauenfenster, welches das Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen aus dem Matthäusevangelium aufgreift. Ein Großteil der Fenstergestaltung geht auf das 19. Jahrhundert zurück, aber es lassen sich noch sehr gut die dunkleren mittelalterlichen Bestände erkennen.
Es sind vor allem die Details, die die Naumburger Domkirche so reizvoll machen. Filigrane Schmiedekunst an Treppengeländern oder hoch über dem Haupt, als wollte sie sich verstecken, die Skulptur zweier Tiere, die sich beim Schachspiel vergnügen. Später im Kreuzgang fällt der Blick auf ein steinernes Äffchen, welches auf einem kleinen Dachfirst sitzt. Wer es nicht weiß, der wird es kaum bemerken, aber keines der in einer Vielzahl vorhandenen Säulenkapitelle gleicht einem anderen. Alle sind sie zwar mit Blattwerk und Ranken der heimischen Flora verziert, jedoch stets in variabler Form und Ausstattung.
In den Kapitellen will man die künstlerische Handschrift des geheimnisvollen Naumburger Meisters erkennen, über dessen Identität man so gut wie gar nichts weiß. Was geblieben ist, sind seine Werke, die legendäre Arbeiten der Steinmetzkunst des Mittelalters geworden sind. Im Westchor und dem vorgelagerten Langhaus der Kathedrale kann man sein Hauptwerk erleben.
Der dort befindliche Westlettner ist eine der größten Attraktionen des Doms. Er trennte einst den Bereich der Geistlichen, die einzig befugt waren, den Altarraum zu betreten, von dem der Laien ab. Das Relief des Westlettners zeigt Sequenzen aus der vom Meister zu Naumburg erschaffenen Passion Christi in eindringlicher figürlicher Interpretation. Das Portal des Lettners ist zugleich Mittel- und Höhepunkt der christlichen Leidensgeschichte. Hier wird der gekreuzigte Jesus von seinem Lieblingsjünger Johannes und der trauernden Mutter Maria flankiert. Der Besucher, möchte er in den Westchor gelangen, muss unter den Armen des Gekreuzigten hindurch treten. Eine starke symbolische Aussage, die der große mittelalterliche Künstler hier ins Werk gesetzt hat. Das sonst übliche Triumphkreuz wurde stattdessen zugunsten einer Ebenerdigkeit, einer unmittelbaren Nähe zum Gläubigen, herabgesetzt.
Im Westchor befindet sich der Stifterzyklus mit den zwölf Domstiftern, unter ihnen das weltberühmte Abbild einer der Hauptstifter, der Markgräfin Uta. Vielen Betrachtern gilt sie als die „schönste Frau des Mittelalters." Doch eigentlich ist es nicht Uta, die wirklich berührt. Während sie recht kühl und unnahbar von ihrem Standpunkt in den Kirchenraum blickt, besticht die ihr gegenüber platzierte Reglindis durch ihr kindliches, beinah verschmitztes Lächeln. Der Meister von Naumburg schuf sie in Stein, nachdem sie bereits gut 200 Jahre tot gewesen ist. Reglindis, die schon im Alter von siebzehn Jahren verstarb, ist gemeinsam mit ihrem Ehemann, Markgraf Hermann, dem Bruder Ekkehards von Meißen als Stifterfigur verewigt. Der hochbegabte Steinbildhauer, dessen Namen heute niemand mehr kennt, verstand es wie kaum einer seiner Zeitgenossen, die Charakterzüge der Menschen auf vielfältigste und so lebensnahe Weise aus dem Stein sprechen zu lassen. Es scheint bei intensivem Betrachten, als entwickelten die Figuren ein Eigenleben. Sein Erbe: ein Faszinosum.
Beim Verlassen des Naumburger Doms, zum Abschied von der Stadt begleitet mich das Lächeln der Reglindis.
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