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Ein Mensch verbringt seine letzten Jahre in einem Turm...
Das klingt wie ein Schauermärchen? Doch genau dieses Schicksal ereilte einen der berühmtesten Dichter der deutschen Literatur.
Hymnen an die Nacht - Teil 1

Hymnen an die Nacht - Teil 1

Novalis

Die „Hymnen an die Nacht" sind das einzige größere Werk, das Friedrich von Hardenberg (Novalis)vollendet hatte, welches auch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Es gehört zu den bedeutendsten Dichtungen der Frühromantik. 1799 erschien die erste handschriftliche Fassung in Versen und im Jahr 1800 wurde die zweite Fassung in Form eines Prosa-Gedichtes im Athenäum durch die Brüder Schlegel veröffentlicht. Die zweite ist gegenüber der ersten Fassung detaillierter, sowie differenzierter und distanzierter von subjektiven Einflüssen. Die wichtigsten Quellen für die Entstehung der „Hymnen an die Nacht" stellen hauptsächlich Edward Youngs „Nachtgedanken" und Shakespeares „Romeo und Julia" dar.

In den „Hymnen an die Nacht" verarbeitet Novalis Gedanken seiner Religiosität und seiner romantisch geprägten Weltanschauung. Die Hymnen verdeutlichen, dass der Tod unausweichlich ist, dennoch kann der Tod auch eine bewusste Entwicklung der Sehnsucht nach dem ewigen Leben darstellen.

1800 erkrankte Novalis an Tuberkulose. Er starb am 25. März 1801 in Weißenfels im Alter von achtundzwanzig Jahren.

Luise Knoll

Teil 1

Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn das allerfreuliche Licht - mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut - atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier - vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. - Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.
Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt - in eine tiefe Gruft versenkt - wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. - Fernen der Erinnerung, Wünsche der Jugend, der Kindheit Träume, des ganzen langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern Räumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner harren?
Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich fühlen wir uns bewegt - ein ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun - wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied. - Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig macht die Dienenden, säetest du in des Raumes Weiten die leuchtenden Kugeln, zu verkünden deine Allmacht - deine Wiederkehr - in den Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie als die blässesten jener zahllosen Heere - unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts - was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Welten, der Pflegerin seliger Liebe - sie sendet mir dich - zarte Geliebte - liebliche Sonne der Nacht - nun wach ich - denn ich bin dein und mein - du hast die Nacht mir zum Leben verkündet - mich zum Menschen gemacht - zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.

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