Friedrich Wilhelm Marpurg wurde am 21. November 1718 auf dem bei Wendemark/Altmark gelegenen Seehof (heute OT Neu Goldbeck) geboren. Er war der Sohn des Rittergutsbesitzers Friedrich Wilhelm Marpurg (1688-1731) und dessen zweiter Frau Maria Magdalena (*1696), Tochter des Werbener Bürgermeisters Johann Christian Hupe. Nach standesgemäßer Erziehung durch Hauslehrer besuchte der junge Marpurg die Cöllnische Lateinschule in Berlin. Am 8. Mai 1738 nahm er ein Jurastudium an der Universität Jena auf, am 7. Juli 1739 wechselte er an die Friedrichs-Universität nach Halle/Saale. Zu seinem dortigen Freundeskreis zählten die Theologiestudenten Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) aus Stendal und Gottlob Burchard Genzmer (1716-1771) aus Hohen-Lübbichow (poln. Cedynia) sowie der Jurastudent Hieronymus Dietrich Berendis (1720-1783) aus Seehausen/Altmark.
In einem Brief an seinen Freund Heinrich Wilhelm Muzel-Stosch (1723-1782) berichtet Winckelmann, Marpurg hätte Preußen im Jahre 1740 fluchtartig verlassen müssen. Er hätte ein Pasquill (Schmähschrift) wider einen Jenaer Magister drucken lassen, weshalb ihn der preußische König in der Festung Spandau festsetzen wollte. Marpurg wäre es gelungen zu fliehen: zunächst nach Holland, dann nach Frankreich, wo er eine musikalische Ausbildung genoss. ( 1 ) Die Nachforschungen neuerer Zeit ergeben ein anderes Bild. Demnach wurde Marpurg in der Musikstadt Halle heimisch und wirkte als Cembalist im studentischen Collegium musicum. Einer seiner Lehrer war Johann Gotthilf Ziegler (1688-1747), langjähriger Musikdirektor und Organist an der Ulrichskirche. Aus der Feder Marpurgs stammen erste Kompositionen aus jener Zeit. 1746 verstarb der Musikdirektor und Organist an der Marktkirche Unser Lieben Frauen Gottfried Kirchhoff (1685-1746). Sowohl Ziegler als auch dessen Schüler Marpurg bewarben sich um die frei gewordene Stelle. Der Kirchenvorstand entschied sich allerdings für einen dritten Bewerber, Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784).
Nach drei Jahren im Exil kehrte Marpurg nach Preußen zurück und wurde Sekretär des Generallieutenants Friedrich Rudolf von Rothenburg (1710-1751), eines engen Vertrauten des Thronfolgers Friedrich II. (1712-1787). Dem kunstverständigen Brotherren widmete er Des critischen Musicus an der Spree erster Band (Verlag Haude & Spener, Berlin 1750). In Berlin machte Marpurg Bekanntschaft mit Christian Gottfried Krause (1719-1770) und weiteren Vertretern der Ersten Berliner Liederschule, darunter Johann Joachim Quantz (1697-1773), Carl Philipp Emanuel Bach (1714-1788) und Johann Philipp Kirnberger (1721-1783). Seinen Unterhalt bestritt er vor allem als Musiktheoretiker.
Marpurgs Publikationen beförderten Ästhetik und Harmonielehre, seine Rezensionen und Kommentare den damals üblichen Gelehrtenstreit. ( 4 ) Der größte Teil seiner Schriften entstand zwischen 1749 und 1763. Die Abhandlung von der Fuge, nach den Grundsätzen und Exempeln der besten deutschen und ausländischen Meister entworfen (Verlag Haude & Spener, Berlin 1753/54) – gewidmet dem „Capellmeister“ Georg Philipp Telemann (1681-1761) – wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Bald zählte Marpurg zu den führenden deutschen Musiktheoretikern und -kritikern. Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) nannte ihn sogar „einen der größten musikalischen Theoretiker in ganz Europa“. Seine Schriften seien nicht nur in einem sehr reinen Stile geschrieben, sondern verrieten auch tiefe musikalische Einsichten und Gelehrsamkeit. So treffend Marpurgs Urteile über musikalische Werke und Künstler ausfielen, so gezwungen und steif seien allerdings seine eigenen Kompositionen, behauptete Schubart. ( 5 ) Die Neuauflage des zweibändigen Lehrwerkes Abhandlung von der Fuge im Jahre 1858 förderte die Bach-Renaissance.
Während des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) kam die höfische Kultur weitestgehend zum Erliegen. Um seinen Lebensunterhalt zu sichern, nahm Marpurg eine Stelle bei der königlichen Lotterie an. Am 8. Februar 1763 erließ Friedrich II. das Patent betreffend eine Königlich Preußische Lotterie, das das staatliche Monopol der Lotterien festschrieb. Marpurg wurde zum königlichen Lotteriedirektor ernannt und erhielt den Titel preußischer Kriegsrat.
Johann Joachim Winckelmann machte inzwischen als Altertumskenner in Rom Karriere. Am Vorabend seines 45. Geburtstages reflektierte er über sein bisheriges Leben. ( 7 ) Ahnte er, dass der Adressat dieses sehr persönliche Dokument veröffentlichen würde? „Das Schreiben an Marpurg habe ich nicht gedruckt gesehen“, schrieb Winckelmann später seinem Studienfreund Gottlob Burchard Genzmer nach Stargard, „und es hat mich sehr geschmerzt, daß dieser Mensch das einzige Schreiben, welches er in 20 Jahren von mir erhalten, bekannt gemacht, und ich war beynahe entschlossen, meinen ganzen deutschen Briefwechsel aufzuheben, weil derselbe ferner für mich gar nicht unterrichtend seyn kann. Wenigstens habe ich itzo die Seegel in etwas eingezogen.“ ( 8 ) Letztendlich war es Winckelmanns erste Biografie, wenn auch von eigener Hand. Und auch der Briefwechsel mit Marpurg setzte sich fort. Im April 1765 wünschte Winckelmann dem Freund, sein Talent und seine Verdienste mögen „gemäße und gefestigte Belohnung erreichen“ ( 9 ).
Wie in der bildenden Kunst spielte der „Nachahmungsbegriff“ auch in der Musik eine Rolle. Winckelmann favorisierte die Opern von Johann Adolf Hasse (1699-1783) und Christoph Willibald Gluck (1714-1787). Marpurgs musikalisches Oeuvre umfasst volkstümliche Lieder – er vertonte mehr als 75 Gedichte – im Stil der Berliner Schule, Klavierkompositionen im Stil der frühen Sonaten Carl Philipp Emanul Bachs sowie figurierte Choräle, Kunststudien im alten Stil. Die von ihm publizierten Bände Berlinische Oden und Lieder (Verlag Gottlob Immanuel Breitkopf, Leipzig 1756 und 1759) zählen zu den wichtigsten Liedsammlungen jener Zeit. (10) Im hohen Alter publizierte Marpurg unter dem griechischen Pseudonym 'Simeon Metaphrastes der Jüngere' die Legende einiger Musikheiligen [...] (erschienen bei Peter Hammer, Köln 1786). Am 22. Mai 1795 verstarb der Musikgelehrte Marpurg in Berlin. Aus seiner Ehe mit Mathilde Friederica, geborene Döring, gingen eine Tochter und vier Söhne hervor. Der 1766 in Hamburg geborene Johann Friedrich trat in die Fußstapfen seines Vaters und machte Karriere als Geiger.
Der Arbeitskreis Werbener Altstadt e.V., Marktplatz 1, 39615 Hansestadt Werben/Elbe hält das Andenken an den großen Sohn der Stadt lebendig:
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Quellen:
Bayreuther, Rainer (Hrsg.): Musikalische Norm um 1700. © Walter de Gruyter GmbH & Co. KG Berlin/New York 2010
Damschroder, David/Williams, David Russell: Music Theory from Zarlino to Schenker. A Bibliography and Guide. © Pendragon Press Stuyvesant New York 1990, S. 182-185
Döring, Detlef/Otto, Rüdiger/Schlott, Michael (Hrsg.): Johann Christoph Gottsched. Briefwechsel Band 4 1736-1737 […]. © Walter de Gruyter GmbH & Co. KG Berlin/New York 2010, S. 597
Gellerich, Frank Norbert: Biedermeier-Marktbote Werben/Elbe Nr. 8 und Nr. 10. http://www.werben-elbe.de
Anmerkungen:
( 1 ) Brief an Muzel-Stosch, Porto d'Anzio 17. März 1767. Briefe III, S. 243
( 2 ) Kuares, Yvonne: Friedrich Wilhelm Marpurg in Halle. In: Stöck, Gilbert/Stöck, Katrin/Föllmer, Golo: Facta Musicologica. Musikgeschichten zwischen Vision und Wahrheit. (Festschrift für Wolfgang Ruf). Verlag Königshausen & Neumann GmbH Würzburg 2003, S. 207 bis 213
( 3 ) zitiert nach Hankeln, Roman: Kompositionsproblem Klassik [...]. Böhlau Verlag GmbH & Cie Köln Weimar Wien 2011, S. 14
( 4 ) Theodorsen, Catherine: Moldenit und Quantz. Musikalische Streitkultur um 1750. In: NordLit Journal 18, Universität Tromsø 2005, S. 265
( 5 ) zitiert nach Schubart, Ludwig (Hrsg.): C. F. D. Schubart´s Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst. Johann Scheible´s Buchhandlung Stuttgart 1839, S. 92
( 6 ) Jerold, Beverly: Johann Philipp Kirnberger versus Friedrich Wilhelm Marpurg: A Reappraisal, S. 91-108
( 7 ) WB 527 an Marpurg, 08.12.1762. Briefe II, S. 274-277
( 8 ) Brief an Genzmer, 22. Dezember 1764. Briefe III, S. 74
( 9 ) WB 701 an Marpurg, 13.04.1765, III S. 94
(10) Seidel, Wilhelm: Friedrich Wilhelm Marpurg. In: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16 S. 235
Abbildungsnachweis:
( 1 ) H. E. von Winter, Porträt F. W. Marpurg (1815). Privatbesitz
( 2 ) Titelvignette zu Des critischen Musicus an der Spree erster Band (1750)
( 3 ) Titelvignette Kritische Briefe über die Tonkunst […], I. Band (1760)