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Die Sage vom Untergang des Dorfes Heydebleck

Die Sage vom Untergang des Dorfes Heydebleck

Constanze von Kietzell

Im Norden Sachsen-Anhalts, nah am östlichen Elbufer, befand sich im 18. Jahrhundert das kleine Dorf Heydebleck. Auf Grund der ständigen Hochwasser entschieden die Bewohner 1791, sich im Nachbarort Klietznick anzusiedeln. Die Sage zum Untergang des Dorfes handelt vom Schäfer Klaus, der seine Tochter zum Dienst zu einem Gutsherren schickte. Als dieser das Mädchen schwängerte, beging es Selbstmord und der Schäfer schwor Rache.
Am Elbdeich, im alten Hirtenhaus,
wohnt der Heydeblecker Schäfer, der alte Klaus.
Sein Weib starb früh, - doch sein Töchterlein
sollt' der düsteren Tage Sonne sein.
Ein blühend Kind in dunklem Haar,
so herzensfrisch, kaum sechzehn Jahr'.
Doch die Zeit ist da, und so hart es ihm fällt,
das Kind muss was lernen, - hinaus in die Welt!
Hinaus aus dem Haus; - dem Alten wird's schwer,
mit Bangen gibt er sein Liebstes her.

Das Kind ihm zur Seite im roten Rock,
der Alte mit Pfeife und langem Stock,
im Sonntagsstaat, im braunen Flaus,
so stehen die Beiden vor'm Herrenhaus;
vor des "Heydebleckers" Haus mit dem grauen Turm,
mit dem Wappenbild, dem grimmen Wurm.
Und als die Turmuhr Mittag zeigt,
der Alte die breite Stiege ersteigt.
Das Kind folgt ihm bang, und der redliche Klaus
gibt die Tochter zum Dienst in das Herrenhaus,
empfiehlt sein Kind der Frau Baron,
dem Herren auch - und geht davon.

Ein Monat darauf, in der Maiennacht,
hat der Gutsherr die Jungfrau zur Mutter gemacht!
Die Arme in ihrer Seelennot
weiß keinen Rat und wählt den Tod. -
Man findet sie an Ufers Rand
Im Röhricht, am düsteren Erlenstand.

Man gräbt sie ein ohne Glockenschlag.
Der Vater steht am offenen Grab,
blickt in die kalte Gruft hinab.
Und als die letzte Scholle fällt,
da eilt er über Wies' und Feld
zum Hof und geht zum Herrn und spricht:
"So Herr, nun halten wir Gericht!
Wer andern bricht das Leben ab,
der gräbt sich auch sein eigen Grab.
Ich geb' euch einen Monat Frist,
doch, wenn die Zeit verstrichen ist
und euch trägt lebend noch das Land,
dann, wisset, fürchtet meine Hand!
Für jede Tat der rechte Lohn!"
Nimmt Hut und Stock und geht davon.

Der Gutsherr hat kein Wort gesagt,
doch vor Gericht sich drauf beklagt.
Der harte Richter bricht den Stab;
man führt den alten Schäfer ab,
hinab in dunkle Kerkernacht. -

Der Winter kommt mit weißer Pracht!
Der Winter geht, der Schnee zerfließt.
Der Frühling naht, es blüht und sprießt.
Die Sonne brennt so sommerheiß,
im Hochland schmelzen Schnee und Eis.
Die Wasser fließen schnell zu Tal,
und Bäch' und Flüsse allzumal,
die schicken sie ohne Rast und Ruh
dem Mutterstrom, der Elbe zu.
Das Wasser wellt, das Wasser steigt,
es hat des Deiches Rand erreicht.
Das Wasser wellt, das Wasser fließt; -
der alte Klaus hat schwer gebüßt.

Und die Glocken rufen Ostern herbei,
da wird der Schäfer wieder frei.
Er steigt den alten Deich hinan;
die frischen Winde wehen ihn an.
Es wallt und wogt die weite Flut
und glitzt und glänzt in Abendglut.
Die Abendröte ihn umspielt, -
ein altes Weh sein Herz durchwühlt.

Und wie er schreitet heimgewandt,
steht plötzlich er am Erlenstand.
Und die Wasser brodeln, als hauchten hohl,
verwehende Worte ein Lebewohl.
Und die Wellen winseln, als flehe sein Kind
bang stöhnend um Hilfe durch Wasser und Wind.

Dann - plötzliche Stille im Wogenmeer. -
Und ein böser Gedanke springt vor ihm her.
Die Sonne sinkt, die Nacht bricht an.
Der Schäfer steigt wieder zum Deich hinan.

Von Wolkenfetzen schwarz verhängt
der Mond sich durch die Spalten drängt;
und wie sein Licht den Deichrand streift,
der Alte zu dem Spaten greift. -
Und her und hin, und hin und her,
von links nach rechts und überquer,
von hüben nach drüben, von hier nach dort
gräbt hastig er in einem fort. -

Vom Turme schlägt die zwölfte Stund', -
"Bald kommt die Reihe an dich, du Hund!"
Ein Streifen, kaum noch Spaten breit, -
was jenseits, - lebte die längste Zeit. -
Und wuchtig stößt er den Spaten hinein;
"der Satan hole dein Gebein!"

Der Damm zerspült wie loser Sand,
die Flut bricht brausend in das Land,
rauscht schäumend hin in wirrem Saus
und stürzet sich auf Hof und Haus,
bricht in die Hütten und lässt nicht Zeit,
dass einer nach Hilfe, nach Rettung schreit.

Das Herrenhaus, noch ganz allein,
steht wildumrauscht im Mondenschein.
Der Alte sieht's und starrt mit Graus
erwartend in die Nacht hinaus.
Doch als es zitternd sich bewegt
und seine starren Wände regt,
und alles, was darinnen lebt,
zusammenstürzend dann begräbt, -
der gierigen Flut zum leichten Spiel,
hat er gefunden auch sein Ziel. -
Wie ihn die Wirbel wild umdreh'n; -
mit Grauen hat's der Mond geseh'n.

Als die Ostersonne am Himmel stand,
war Heydebleck verschwunden im Land.

 

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